„Graditz lebt Pferdezucht“
Antje Kerber übernimmt am 1. Oktober 2020 die Leitung des Hauptgestüts Graditz sowie die stellvertretende Leitung der Sächsischen Gestütsverwaltung (SGV). Antje Kerber ist Diplom-Agrarökonomin und war nach ihrem erfolgreichen Studienabschluss zunächst als Bereiterin in einem Turnier- und Ausbildungsstall sowie als Ausbilderin tätig. Ihre Qualifikation als Turnierrichterin und Inhaberin der DOSB Trainer A-Lizenz komplettiert ihre Expertise im aktiven Reitsport. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Assistentin hatte Frau Kerber von 2007 bis 2009 die Position der Betriebsleiterin in der Westfälischen Reit- und Fahrschule Münster inne. Seit 2009 ist Frau Kerber Gestütsleiterin des Landgestütes.
Frau Kerber, gerne möchten wie Sie näher kennenlernen: Wir wissen, Pferde sind Ihre ganz große Leidenschaft und immer Taktgeber in Ihrem Leben gewesen. Wer ist der Mensch Antje Kerber? Was meinen Sie, sind Ihre großen Stärken?
Antje Kerber ist ein ganz normaler (Pferde-) Mensch. Zu meinem zehnten Geburtstag bekam ich mein erstes Pony geschenkt und damit war mein weiterer Werdegang besiegelt. Von den Pferden habe ich Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit und Beharrlichkeit gelernt. Eine gewaltige Portion Lebens-Optimismus und große Freude an den kleinen Dingen im Leben kommen dazu. Ich hatte bisher stets das Glück, dass ich meine Zeit mit dem verbringen durfte, was ich am liebsten tue: mit Pferden und mit Pferdemenschen zusammen zu sein und zu leben. Das allein prägt einen Menschen sehr.
In einem vorhergehenden Interview haben Sie angegeben, dass kein anderes Gestüt außer Graditz Sie aus Redefin gelockt hätte? Was macht Graditz aus Ihrer Sicht so besonders?
Das Hauptgestüt Graditz dokumentiert in besonderem Maße, wie maßgeblich die Bedürfnisse der Pferde und das Zusammenleben von Mensch und Tier für die Gestaltung des Gestütes waren und auch heute noch sind. Graditz lebt Pferdezucht in einer dafür wie geschaffenen, wunderschönen Kulturlandschaft. Die Gebäude, der Park, die Paddocks und Koppeln atmen eine langjährige Tradition, die dabei nie altmodisch geworden ist. Dazu kommt aber auch noch eine familiäre Verbundenheit zu der Region. Meine aus Ostpreußen stammende mütterliche Familie fand sich 1947 in Döbeln bei Dresden wieder, wo sie bis 1958 blieb, bevor sie weiter nach Westen zog. Meine Mutter hat ihre Jugendjahre in Döbeln verbracht und pflegt bis heute Kontakte aus dieser Zeit. Durch gemeinsame Reisen und durch Erzählungen hat sie dafür gesorgt, dass ich die Region schon vor Jahren in mein Herz geschlossen habe. Zudem stand meine frühere Zuchtstute einige Zeit in Cavertitz, gut 30 km von Graditz entfernt.
Sie verfügen über sehr umfangreiche Erfahrungen in der Führung eines Staatsgestüts. Was sind die aus Ihrer Sicht wichtigsten Aufgaben einer staatlichen Gestütseinrichtung wie Graditz, heute und morgen?
Die Pflege und den Erhalt des Kulturgutes Pferd und der denkmalgeschützten Gestütsanlagen halte ich für die wichtigsten Aufgaben der staatlichen Gestütseinrichtungen. Dabei ist es von außerordentlicher Wichtigkeit, nicht ausschließlich an Traditionen und vergangenen Zeiten festzuhalten, sondern sich mit attraktiven Angeboten zu einem kundenfreundlichen und modernen Dienstleister zu entwickeln, dessen oberste Priorität das Wohl der Pferde und seiner Entwicklung sein muss. Die Förderung der Landespferdezucht gehört genauso dazu wie die Ausbildung von Mensch und Tier, die Förderung des Sports, des Denkmalschutzes und des traditionellen Brauchtums.
Dabei müssen verschiedenste Zielgruppen angesprochen werden. Im Bereich der Pferdefachleute ist es wichtig, dass die Angebotspalette ausreichend diversifiziert ist und möglichst alle Sparten und Bereiche mit qualitativ hochwertigen Angeboten anspricht. Es ist mittlerweile aber auch enorm wichtig, die Nicht-Pferdemenschen anzusprechen und sie für das Pferd und für die Gestüte zu interessieren. Nur wenn die breite Bevölkerung die Notwendigkeit erkennt, das Pferd und die Gestüte zu erhalten, wird auch die Politik dauerhaft daran ein Interesse haben und die Finanzierung dieses aufwändigen Unterfangens sichern. Das Pferd selbst ist in der Lage auch einen Laien in seinen Bann zu ziehen und ihn für sich zu gewinnen, wir müssen lediglich die Rahmenbedingungen für die Begegnungen schaffen.
Ihre besondere Passion sind blutgeprägte Pferde und der Vielseitigkeitssport. Hand aufs Herz: Gibt es zukünftig einen Markt für Sportpferde, jenseits des Turnierpferdesports oder welche Pferde brauchen wir in Zukunft?
Der Bedarf an Pferden wird so unterschiedlich sein, wie unser Sport Facetten hat. Weiterhin wird es viele Züchter geben, die es sich zum Ziel setzen, den nächsten Olympiasieger oder zumindest einen TopLeistungssportler zu züchten und das ist auch gut so! Die Gruppe derjenigen Reiter und Fahrer, die sich auf diesem Niveau bewegt, wird aber vermutlich eher kleiner als größer werden. Somit wächst voraussichtlich der Bedarf an Pferden für den gehobenen Freizeitsport und es werden charakterstarke, brave und robuste Pferde in allen Größen und Farben und unterschiedlichen Rassen nachgefragt. Auch für diese Pferde benötigen wir eine gezielte Zucht. Es reicht m. E. nicht, auf die „Übriggebliebenen“ aus der Leistungszucht zu setzen. Eine große Herausforderung wird es dann noch sein, dem ambitionierten Freizeitsportler klar zu machen, dass es sich lohnt, einen angemessenen Preis für ein in Deutschland gezogenes und ausgebildetes Pferd auszugeben und nicht in ein möglicherweise günstigeres Pferd aus dem Ausland zu investieren.
Was sind Ihrer Einschätzung nach die größten Herausforderungen für den Pferdesport (Zur Erklärung: Gemeint ist der ganze Sektor, alle Beschäftigungen mit dem Pferd, die Pferdehaltung, die Pferdewirtschaft etc.)?
Der gesellschaftliche und demografische Wandel haben dazu geführt, dass die Bedeutung des Pferdes in den vergangenen Jahrzehnten massiv abgenommen hat. Mittlerweile werden vermehrt Kulturhistoriker auf die traditionellen Gestüte aufmerksam, was zwar einerseits schön ist, uns aber andererseits aufzeigt, wie sehr wir bereits aus dem Bewusstsein der Gesellschaft verdrängt wurden, denn ansonsten würden sich die Kulturhistoriker gar nicht für uns interessieren.
Ein großer Vorteil ist es, dass das Pferd in der Bevölkerung trotz allem grundsätzlich positiv besetzt ist und das müssen wir uns zunutze machen und daraus Handlungsweisen entwickeln. Dazu müssen alle Akteure der Pferdewirtschaft zusammenarbeiten und insbesondere in die Bereiche der Nachwuchsförderung und des Tierwohls investieren. Die Gesellschaft ist nicht mehr bereit, tierschutzwidriges Verhalten für die Ausübung eines Sports zu tolerieren und wir tun gut daran, als Fachleute bei diesem Thema die Initiative zu ergreifen und nicht darauf zu warten, bis wir von Tierschützern oder denen, die meinen es zu sein, in die Ecke gedrängt werden. Die Umsetzung der Leitlinien für artgerechte Pferdehaltung und für die Nutzung von Pferden gehört für mich selbstverständlich dazu. Aber auch der Wissensvermittlung in Theorie und Praxis wird zukünftig eine noch größere Bedeutung zukommen und dabei müssen wir uns insbesondere auf Multiplikatoren, also Ausbilderinnen und Ausbilder, und auf unseren Nachwuchs konzentrieren, wobei ich mit Nachwuchs nicht nur junge Menschen, sondern durchaus auch Spät- und
Wiedereinsteiger meine.
Wir haben gehört: Sie bringen zwei Ponys mit nach Graditz. Was hat es damit auf sich?
Genau genommen: zwei Shetlandponys und eine Mecklenburger Halbblutstute. Die Halbblutstute habe ich vor vier Jahren als Fohlen gekauft, um wieder ein eigenes Reitpferd zu haben. Sie befindet sich z. Zt. in der Ausbildung bei Malin Hansen-Hotopp, einer Freundin und international erfolgreichen Vielseitigkeitsreiterin in Vorpommern, soll perspektivisch aber auch nach Sachsen nachkommen.
Das erste Shetty war eine „Schnapsidee“ an meinem diesjährigen Geburtstag. Gisbert Koch, Vorsitzender der IG Shetlandpony M-V, gratulierte mir telefonisch und berichtete von der Geburt seines ersten Fohlens des Jahres am selben Morgen. Nachmittags bin ich hingefahren und wusste auf den ersten Blick, dass dieses Braunscheckstutfohlen nun wohl meines werden müsste. Einige Wochen später las ich im Fachkonzept für die Sächsische Gestütsverwaltung von der Idee, im Hauptgestüt Graditz Shetlandponys für Kinder zu halten und habe daraufhin beim selben Züchter noch ein zweites Stutfohlen gekauft. Nun bleibt zu hoffen, dass die beiden sich gut entwickeln und sich für die Arbeit mit Kindern auch eignen werden.
Mit Frau Dr. Schöpke und Ihnen führen zwei starke Frauen die Sächsische Gestütsverwaltung. Gibt es etwas, worauf Sie sich in der Zusammenarbeit besonders freuen?
Ich kenne Frau Dr. Schöpke ja schon, seit sie 2015 als Assistentin von Dr. Matthias Görbert bei der SGV angefangen hat, seit knapp drei Jahren sind wir nun Amtsschwestern als Gestütsleiterinnen von Landgestüten. Ich schätze Frau Dr. Schöpke sowohl fachlich als auch persönlich sehr und freue mich auf einen konstruktiven Austausch in freundschaftlicher Atmosphäre. Insbesondere von ihrer Kenntnis um die Pferdezucht in Sachsen und Thüringen hoffe ich natürlich zu profitieren, hier betrete ich Neuland.
Frau Kerber, wenn Sie an 2030 denken: Welche Visionen haben Sie für Graditz? Welche Visionen haben Sie für die sächsisch-thüringische Pferdewirtschaft?
Für eigene Visionen ist es zu früh, dafür möchte ich mein neues Aufgabengebiet zunächst besser kennen lernen. Der Leitfaden für mein und unser Handeln ergibt sich nicht zuletzt aus der Umsetzung des Fachkonzeptes der Sächsischen Gestütsverwaltung, das umfassende Aspekte für die Zukunft implementiert. Trends wie Bevölkerungswachstum, zunehmende Urbanisierung und Digitalisierung, der Wunsch nach Individualität, Naturerlebnis und Gesundheit werden von uns zu berücksichtigen sein und in all dem müssen wir die Pferde fest etablieren. Das Hauptgestüt Graditz hat dafür hervorragende Voraussetzungen und diese gilt es auch in der gesamten sächsisch-thüringischen Pferdelandschaft zu schaffen. Das kann aber nur im Zusammenwirken aller Akteure der Pferdewirtschaft gelingen, da wiederhole ich mich gern.
Auf ein Wort: Möchten Sie Sachsens Pferdesportlern und Pferdezüchtern noch etwas mit auf den Weg geben?
Es gibt nichts Wichtigeres, als sich um unseren Nachwuchs zu kümmern. Wenn es uns nicht gelingt, junge Menschen für unsere Pferde zu begeistern, dann können wir gleich ins Museum umziehen.
Foto: J. G. Toff: Antje Kerber dort, wo sie am liebsten ist: bei den Pferden.